Die Ethik in der Architektur 6

Ein anderer interessanter Ansatz sind die Sichtweisen des Schams in den jeweiligen Kulturen. An dieser Stelle ist der Philologe Eric Robertson Dodds zu erwähnen, der als Erster die Unterscheidung in den asiatischen Scham-orientierten und westlichen Schuld-orientierten Kulturkreis injizierte. Aus diesem Betrachtungswinkel wäre die Architektur in unseren Breiten mit einer Ausrichtung zur Schuld erbaut, was zumindest für die jüngere Vergangenheit bejaht werden kann. Man denke hierbei an die Architektur des national-sozialistischen Regimes, die in Wien mit dem markanter Blickfang der Flieger-Abwehrtürme bis heute Bestand hat. Jedoch verschwimmen in der gegenwärtigen Zeit allfällige Grenzen, im Sinne eines klaren Bereichs, völlig. Auf ähnliche Weise argumentiert die Soziologin Anja Litzmann in ihrer Dissertation über „Die Theorie der Scham“. Sie spricht sogar von einem historischen Wandel der Scham Anlässe, die wiederum interkulturelle Bandbreiten haben können. Wobei sie eine Verschiebung von Scham zur Schuld feststellt. Das verbindende Merkmal beider Denkrichtungen ist die Emotion. Als solche wird sie in der Psychologie und Philosophie in der Art beschrieben, dass alle Emotionen eine Bewertungs-, Erregungskomponente aufweisen und gehen mit einem motorischen Ausdruck einher. Sie sind von kurzer Dauer und treten bei einem signifikanten Wechsel einer Lebenssituation auf, die darüber hinaus ein spezifisches intentionales Objekt haben. Daraus folgt eine erkennbare Ursache, die ihres Zeichens kein Resultat intellektuelle Überlegungen ist, sondern rational oder irrational sein können.